Altenessen-Nord

 "Ist Altenessen noch zu retten?" So lautete am 2. Februar 1973 die Schlagzeile einer großen Tageszeitung.  "Wenn hier keiner was unternimm verkommen wir ganz hier unten", blickte damals ein Anwohner in eine  düstere Zukunft. Heute, 30 Jahre später, ist die Zukunft da. Es ist viel passiert in Altenessen-Nord. Aus Grau  ist Grün geworden. Aus der Welt sind alle Probleme indes nicht. 1973 war der Nullpunkt erreicht.

Mit der  Fördereinstellung auf Emil-Fritz fiel der  Deckel auf die letzte Schachtanlage im  Raum Altenessen. Der Motor, der über  130 Jahre lang die Entwicklung der  ehemals größten Bergbaustadt  Europas antrieb, stand still. Über 10000 Arbeitsplätze sind zwischen 1960  und 1973 verloren gegangen. Mehr als  20 000 Menschen kehrten dem heutigen Stadtbezirk V den Rücken. Der Phönix war zu Asche zerfallen. Doch gleich dem heiligen Vogel der ägyptischen Mythologie, der stets verjüngt aus seinem eigenen Scheiterhaufen wieder aufsteigt, ist der Endpunkt für  Altenessen-Nord auch so etwas wie ein Neubeginn.

Mit der Eröffnung des  Einkaufszentrums 1973 geht der Blick voraus. Und noch viel weitreichender schauen die Bürgervertreter im Stadtrat ein Jahr später. Sie beschließen die Begrünung des Essener Nordens: "Die Grüne 14". Die Zukunft hat begonnen.

 Aus 86 Metern Höhe lässt sie sich heute auf der Schurenbachhalde am besten  bewundern. Vor 150 Jahren war hier noch alles platt. Nach dem Abriss des Nordstern-Stadions wurde das Areal Mitte der 50er Ablageplatz für Zollverein. Jetzt erstreckt sich Natur soweit das Auge reicht.

Vom Südrand des  Stadtteils, dem neu angelegten kleinen Park hinter der Zeche Carl, reiht sich mit  Kleingärten, Nordfriedhof, dem Bürgerpark an der Kuhlhoffstraße und zahlreichen  Naturstücken ein Grünbereich an den nächsten - und das bis zur Stadtgrenze Gelsenkirchen. Neben dem Radweg am Rhein-Herne-Kanal der Naherholungsbereich nicht nur für die Altenessener.

Alles sollte anders werden. Doch das dauerte.  Erst 1987 wurde der Güterbahnhof Rheinisch aufgegeben. Der Weg für die  Ortsumgehung Altenessen, heute die Wilhelm-Nieswandt-Allee, war frei. Rings  um die neue Großstraße entstanden Wohnhäuser, Seniorenwohnzentrum, ein  Fitnessclub. Die Altenessener Straße wurde ausgebaut. Mit einer beruhigten  Altenessener im Zentrumsbereich bekam der Stadtteil eine neue Mitte. Durch den Abbau der Straßenbahngleise ergab sich auch die Chance für eine Umgestaltun des Karlsplatzes.

 Die 1930 als drittes Essener Schwimmbad eröffnete Badeanstalt bekam 1996 für  5,2 Millionen Mark eine Grundsanierung und zählt heute pro Jahr rund 50 000 Besucher.
 
Doch für die Anwohner war die Stadtteil-Sanierung, die rund 35 Millionen Euro verschlungen und Altenessen über zehn Jahre in eine Baustelle verwandelt hat, alles andere als eine leichte Wiedergeburt. Uwe Lyko alias Herbert Knebel hat 14 Jahre in Altenessen gewohnt. "Das war die Hölle. Es gab  Situationen, in denen ich aus meiner Stankeitstraße überhaupt nicht mehr rausgekommen und mit dem Auto durch den Kaiserpark gefahren bin. Das war  schon haarsträubend." Und gefällt dem Kabarettisten, der Altenessen in Richtung Werden verlassen hat, sein alter Stadtteil? "Es gibt sehr viele schöne Ecken in Altenessen-Nord. Ich denke aber, dass durch die breite Nieswandt-Allee und den Stauderkreisel viel historischer Charme verloren gegangen ist", erzählt er.  Wohl gefühlt habe er sich im Norden jedoch immer. "Und dass im Süden nur  Millionäre wohnen", solle man bloß nicht denken.

 Dass Altenessen-Nord aber kein unproblematischer Stadtteil ist, weiß Mehme  Bingöllü zu berichten. Seit 1980 ist der Sozialarbeiter in Altenessen aktiv. 1985  zog er her, weil die Identifikation mit dem Stadtteil für seine Arbeit "sehr wichtig" ist. Sein Job ist nicht immer leicht. Die Eckdaten: Rund 6,5 Prozent der 17 254  Einwohner in Altenessen-Nord sind arbeitslos - noch recht wenig. Aber: "Zuzüglich der nicht Deutschstämmigen mit deutschem Pass gehen wir von einer  Rate von über 24 Prozent Einwohnern mit anderem kulturellen Hintergrund aus."  Da ist Vermittlung notwendig.

 Dass das Miteinander nicht immer ohne Probleme möglich ist, hat Herbert Bußfeld,  Vorsitzender des Fußballclubs Altenessen 1912, erlebt. "Als wir Mitte der 90er unsere türkischen mit den deutschen Spielern zusammengelegt haben, ging das nicht ohne Widerstände auf beiden Seiten," erinnert sich der Chef des Vereins, in dem seinerzeit "der Boss" Helmut Rahn das Fußballspielen gelernt hat. Mittlerweile  funktioniere das Miteinander an der Kuhlhoffstraße prächtig.

 Ein soziales Pulverfass ist Altenessen-Nord nicht mehr - zu tun bleibt laut Mehmet Bingöllü jedoch noch eine Menge: "In der Kinderbetreuung haben wir hier seit Jahren ein chronisches Defizit. Gerade für libanesische Eltern ist es oft ungeheuer schwierig, den Nachwuchs unterzubringen." Damit Altenessen-Nord auch weiter eine Zukunft hat

. Der Stadtteil Erstmals urkundlich erwähnt wurde Altenessen im Jahr 1041. Über Jahrhunderte lebte die kleine Bauernschaft vor sich hin. Auch mit der Öffnung der Köln-Mindener Eisenbahn 1847 begann der Bergbau. 1915 wurde Altenessen eingemeindet.

1973 schloss die letzte Schachtanlage. Es folgten Begrünungsprogramme und Stadtteilsanierung.

Heute zählt Altenessen-Nord 17 254 Einwohner.

Sehenswürdigkeiten sind Bürgerpark Kuhlhoffstraße mit Jugendfarm, Alte Badeanstalt und Schurenbachhalde. Daneben verläuft das Südufer des Rhein-Herne-Kanals in Altenessen-Nord.

 Bemerkenswerte Wirtschafts- und Industrieansiedlungen sind das Einkaufszentrum und der Gewerbepark Fritz.
 
(Quelle: WAZ, Gesichter der Stadt, Markus Grenz)                       zurück