Aus dem Leben des Bergmannes Hermann K.
In der Lebensgeschichte des Bergmannes Hermann K., der 1879 zu Groß-Hanswalde in Ostpreußen geboren wurde und sich nach einem unsteten Wanderleben zwischen Ost und West, der alten Heimat und dem „Goldenen Westen", schließlich in Altenessen und dann, an seiner Grenze, in Stoppenberg, niederließ, zeigt sich viel Typisches, das ein Licht auf die allgemeinen Lebensbedingungen der Einwanderer wirft. Es wird sich also lohnen, einige Stationen dieses Lebensweges hier einmal festzuhalten!
Hermann K. verließ 1900, mit 21 Jahren, seine Familie in Richtung Altenessen. Ein ganzes Leben noch vor sich, unternehmungslustig und unruhig, sah er wie viele seiner Altersgenossen keine Perspektive in der Heimat, wollte er nicht als armer Landarbeiter ohne eigenes Land oder nur mit Kleinstbesitz sein Leben fristen. Hermann K. war auf einem Gut in Ostpreußen „Herrenfahrer". Später stellte man ihn für die Verpflegung der Pferde ab. Ein Zeitgenosse schrieb 1893 zur allgemeinen Lage im Osten: „Bei vorherrschendem Großgrundbesitz haben die Arbeiter keine Aussicht, ihre Lebensstellung einmal zu verbessern ... . Sie bleiben lebenslang, was sie sind, nämlich besitzlose Arbeiter, denen zudem alle halbe Jahre ihre Stellung gekündigt werden kann."
Wie Hermann K. kamen vor allem die jungen Leute. 1890 waren 4 von 10 Einwanderern aus den östlichen Teilen des Reiches im Ruhrgebiet zwischen 20 und 30 Jahren. Ebenfalls wie viele andere kam auch Hermann K. nicht auf „blauen Dunst" ins Revier. Ein Kollege, der vor ihm Ostpreußen verlassen hatte, vermittelte ihm die erste Arbeit auf der Zeche Anna. So schön, so gut. Wo sollte er aber wohnen? Ein eigenes Zechenhäuschen mit etwas Land in einer Kolonie zu bewohnen, wie es sie in der Schnieringstraße, der Rahmdörne, der Hohendahlstraße gab, stand ihm als Neuankömmling und Junggeselle nicht zu. Vielleicht in eins der Ledigenheime? Hermann K. entschied sich dafür, zunächst als Kostgänger bei einer Familie in der Wikingstraße zu wohnen. Sehr viele machten das so. In der Provinz Westfalen kam 1902 auf einen polnischen oder masurischen Haushalt im Durchschnitt, je ein Kostgänger.
Die Menschen aus Ostpreußen oder Schlesien blieben zunächst gerne unter sich. Man suchte die Bräute lieber in der Heimat.
1902 fuhr Hermann K. nach Ostpreußen und heiratete. Es war damals notwendig und üblich, die Bräute bzw. die Familien erst dann ins Revier nachzuholen, wenn die Ersparnisse für eine Wohnung und ihre Einrichtung ausreichten. So reiste auch Hermann K. nach seiner Hochzeit allein wieder
nach Altenessen zurück, fing auf der Zeche Ernestine an und suchte sich jetzt aber eine Wohnung. Dort lebte er einige Zeit unter sparsamsten Bedingungen. „Allein und ohne jegliche Einrichtung hauste er in dieser Mietwohnung, bis er von seinen ersten Ersparnissen unter der Hand einmal einen alten Brotschrank kaufen konnte. Sein Bett blieb aber weiterhin der Fußboden, und ein Klötzchen war sein Kopfkissen", erinnert sich ein Sohn des Bergmannes an die Erzählungen des Vaters.
Dann war es endlich soweit: Hermann K. konnte seine Frau nachholen. Schon bald kam das erste Kind, das aber leider starb. Bis zum Jahre 1920 wurden den Eheleuten noch weitere sieben Kinder geboren. Die hohe Kinderzahl bedeutet für viele Einwandererfamilien nichts Ungewöhnliches. So kamen in Wanne Anfang der 20er Jahre auf 100 Einwohner polnischer Herkunft 50 Kinder, dagegen auf 100 Einwohner deutscher Herkunft nur 27.
Auch nachdem Hermann K. im „Westen" eine Familie gegründet hatte, blieb er auf* der Wanderschaft. Es zog ihn von Altenessen weg, über den Rhein, zur Zeche Rhein-Preußen. 1909 versuchte er, noch einmal in seiner alten Heimat Fuß zu fassen. Dort nahm er die Arbeit eines Instmannes an. Aber 1911 war die Familie schon wieder im Revier. Diesmal zogen sie nach Stoppenberg in die Köln-Mindener-Straße. Hermann K. fing auf der Zeche Zollverein an, wo er bis zum Ersten Weltkrieg arbeitete. Dieses unstete Leben zwischen verschiedenen Zechen, zwischen dem neuen Leben im Westen und den alten Bindungen an die Heimat und die dort zurückgebliebenen Verwandten teilten viele Einwanderer. Unterschiedliche Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten auf den Zechen und Eingewöhnungsschwierigkeiten im Revier waren die Gründe. Die Vorteile der Zechenwohnungen, die Möglichkeit zum Gartenbau und zur Viehhaltung sowie ein Mietpreis, der deutlich unter dem vergleichbarer Privatwohnungen lag, konnten die hohe Fluktuation unter den Zechenbelegschaften nur zum Teil eindämmen. Mit dem Umzug in die KölnMindener-Straße wurde das Leben des Hermann K. aber ruhiger. Bis zu seinem Tode 1959 wohnte er hier nun durchgängig. Da er und seine Frau allein von der spärlichen Rente nicht leben konnten, nahm er noch eine Stelle bei einem Bauern in der Lierfeldstraße an, der Wagen und Pferde der Post für Pakettransporte zur Verfügung stellte. So beendete schließlich der Bergmann Hermann K. sein Arbeitsleben als einer der letzten Paketpostkutscher in Altenessen.

(P. Schwiderowski, in: Altenessen im Wandel der Zeiten 1850 -1939, S. 14 f)               zurück