Altenessen-Süd Stadtplaner sprechen von Siedlungen gerne wie von lebenden Organismen. In Altenessen-Süd ergäbe diese Sichtweise eine unmögliche Diagnose. Der Stadtteil hat mehrere Lungen, verstopfte Arterien - aber kein Herz. Dieses schiefe Bild ist natürlich den Reißbrettern der Statistiker geschuldet, die Altenessen aufgeteilt haben in Nord und Süd. Und zwar deshalb, weil der Stadtteil im Ganzen mit mehr als 40 000 Einwohnern das absolute Schwergewicht der Stadt gebildet hätte. Noch nach der Teilung steht Altenessen-Süd auf der Einwohnerskala mit 25 619 auf Platz drei hinter Frohnhausen (32 083) und Rüttenscheid (27 734), hauchdünn vor Holsterhausen (25 588).
Um das Bild schnell zu erklären: Altenessen-Süd ist von grünen Lungen, sprich Parks, geradezu eingekreist. Im Süden der Nordpark am Kirmesplatz, im Osten der neue Park am Gewerbegebiet M 1, im Norden der Kaiserpark und im Westen der Helenenpark. Die Schlagadern des Verkehrs, nämlich Bottroper, Gladbecker und Altenessener Straße, leiden schon lange unter chronischer Verstopfung. Und das fehlende Herz schlägt direkt hinter der künstlichen Grenze rund um Allee-Center und Zeche Carl. Und damit kommen wir zum Kapitel Historie. Die 125jährige Geschichte der Zeche Carl ist ein Musterbeispiel für Industrialisierung und Strukturwandel gleichermaßen. Doch zuvor gilt es zu belegen, dass Altenessen seit der grauen Vorzeit ein beliebtes und meist friedliches Fleckchen Erde war, auf dem sich fleißige Menschen gerne ansiedelten. Solche Menschen bearbeiteten vor bis zu 15 000 Jahren jene Feuersteinklingen, die heute neben der noch älteren "Vogelheimer Klinge" zu den frühesten Beweisen menschlicher Ansiedlung zählen. Und unter dem Helenenpark ruhen nach Ansicht des Stadtarchäologen Detlef Hopp weitere Beweise dafür, dass schon zu Zeiten der Merowinger Fürsten über den Frieden in Altenessen wachten, als die Gründung von Stift und Stadt Essen noch in ferner Zukunft lag. Dort wurde 1875 bei Ausschachtungsarbeiten für eine Kokerei ein fränkisches Gräberfeld entdeckt, das Hopp ins 6. bis 8. Jahrhundert datiert. Ein Schwert mit Goldverzierungen aus den Jahren 750 bis 800 wertet Hopp als Beweis dafür, dass dort ein Adliger bestattet wurde. Und der Archäologe geht noch weiter: Er vermutet, dass das Gräberfeld noch viel größer und letzte Ruhestätte für ganze Dynastien war; möglicherweise reichte es ursprünglich bis hoch zur Schurenbachhalde. Hopp: "Leider ist im Essener Norden im Laufe der Jahrhunderte viel überbaut, ausgeschachtet und aufgehaldet worden. Die dort verschütteten Zeugnisse der Vergangenheit zu entdecken, wird Aufgabe künftiger Generationen von Archäologen sein."
Wir halten fest: Zu Zeiten Karls des Großen war die Bauernschaft Altenessen schon eine große Nummer. Das blieb sie mindestens bis zur ersten urkundlichen Erwähnung im Jahr 1041, doch dann sank der Stern im Essener Norden. Die Handelswege verschoben sich Richtung Osten. Und während die große Zeit anbrach der Freien Reichsstadt Dortmund, sank Altenessen ins Dunkel des Mittelalters.
Zeitsprung: Bis Anfang des 19. Jahrhunderts hatte sich daran nicht furchtbar viel geändert. Eine Karte aus dem Jahr 1821 zeigt Altenessen-Süd als Bauerndorf mit Flurstücken, deren Bezeichnungen sich heute in Straßennamen wieder finden: Stadtfeld, Hülsenbruch, Lierfeld, Im Rahm. Dann kam der Bergbau und mit ihm die Industrialisierung. Fünf Zechen hatte Altenessen zu besten Bergbauzeiten. Die Zeche Carl, wir sagten es schon, liefert ein Beispiel im Zeitraffer. 1855 begann der Bau. 1867 siedelte sich im Umfeld der neuen Zechensiedlungen ein bayrischer Fassbinder an und pachtete die Hausbrauerei Schlicker. Die untergärige Brauweise, die er mitbrachte, prägt bis heute die Biertradition des Ruhrgebietes. Sein Name: Theodor Stauder.
Zur Jahrhundertwende hatte der Bergbau die damals noch selbstständige Bürgermeisterei Altenessen (mit Amtssitz in Stoppenberg) so wohlhabend gemacht, dass selbstbewusste Bürger sich neoklassizistische Mehrfamilienhäuser leisteten, wie sie heute noch an der Radhoffstraße zu sehen sind. 1929, Altenessen war von den Preußen schon nach Essen eingemeindet, stellte die Zeche Carl zwar die Förderung ein, blieb aber Wetterschacht. Ihre Hallen wurden Werkstätten. Dem Aufstieg aus den Weltkriegs-Ruinen folgte der tiefe Fall in der Bergbaukrise. Die Zechentürme sanken um, die Arbeitslosenzahlen schossen in die Höhe. 1976 wurde in Altenessen die letzte Zeche stillgelegt, doch schon ein Jahr später begann die Wiederbelebung der alten Industriearchitekturen. Eine Initiative begann mit dem Kampf um die Neu-Nutzung der Zeche Carl als Stadtteil- und Kulturzentrum. Im Rückblick können Pioniere wie der Pfarrer Willi Overbeck sich als Trendsetter einer Bewegung fühlen, die mit der Aufnahme Zollvereins in Weltkulturerbe einen vorläufigen Höhepunkt fand.
Dass Altenessen-Süd mehr Grün braucht, ist allerdings keine Erkenntnis der jüngsten Tage. Das fanden die Altenessener Bürger um 1910 auch - und gründeten als Naherholung für die Arbeiterschaft den Kaiserpark.
(Quelle:WAZ, Gesichter der Stadt, Kai Süselbeck) zurück